Gay liebe und treue

gay liebe und treue

Monogamie vs. Polygamie: So ein gängiger Disput in unserer Community. Was uns ein Blick in die Geschichte lehrt, verrät dieser Artikel. Die Community-Umfrage von Pink Cross im letzten Jahr zeigte deutlich: Schwule können nicht nur monogam — über ein Drittel der Befragten leben ihre Beziehung offen.

Viele in unserer Community mag das kaum überraschen. Trotzdem befürchten manche, dass die Monogamie langsam überhandnehme und die scheinbar spezifisch schwule Lebensweise der häufig wechselnden Sexualpartner verdrängen werde. Denn nicht alle mögen sich diesem Nimbus der schwulen Promiskuität beugen, sondern leben ihre Beziehung lieber monogam, quasi «klassisch».

Denn die Ehe sei der Inbegriff monogamer Verbürgerlichung. Schliesslich stehe im Zivilgesetz, Artikel ja: Die Eheleute «schulden einander Treue». Doch sind die Fronten in diesem Streit tatsächlich so verhärtet? Ein Blick in die Geschichte mag uns Aufklärung verschaffen.

Der deutsche Historiker Benno Gammerl zweifelt an dieser Erzählung. In einem Artikel über die Entwicklung der Community seit den er-Jahren beschreibt er, dass sich diese Fronten einander gar nicht so polar gegenüberstehen — also nicht: Progressive, offene, polygame Schwule vs.

Vielmehr gebe es ein «komplexes Geflecht von Bezügen und Positionen». Und natürlich habe es bereits damals jene gegeben, die die Monogamie oder die Forderung nach einer Ehe als bürgerliches Übel ablehnten. Die Kritik an dieser Position aber sei nicht nur von konservativen Schwulen gekommen, die bemüht waren, der Öffentlichkeit zu beweisen, wie tugendhaft eine mannmännliche Liebesbeziehung gelebt werden könne.

Kritik sei nämlich auch von linken Schwulen gekommen, die gegen «Hypersexualisierung» in der schwulen Community protestierten und in dieser Hinsicht von «konsumorientierten Umgangsformen» sprachen, die «menschlich normale Kontakte unmöglich» machen würden. Und Gammerl zeigt mit seinem Aufsatz auch auf, dass sich schon früh eine Art «Doppelnorm» 4 etabliert habe: Beide Lebensformen — die monogame und die polygame — seien in Abgrenzung zur jeweils anderen zu einer etablierten Form des schwulen Zusammenlebens geworden, zu zwei unterschiedlichen Fluchtpunkten, an denen man sich aus unterschiedlichen Gründen orientieren könne.

Diese verschiedenen Normen in unserer Community scheinen aber noch tiefere Wurzeln zu haben, wie wir sehen, wenn wir den Blick noch weiter in die Vergangenheit zurückschweifen lassen. Wenn wir auf Kontaktanzeigen in der erste Homosexuellenzeitschrift der Schweiz in den er-Jahren, dem «Freundschafts-Banner», schauen, so finden wir reihenweise Kontaktanzeigen, in denen nach einer «Dauerfreundschaft» gesucht wird, also einer auf Dauer angelegten Liebesbeziehung.

Und auch im Homophilen-Magazin «Der Kreis» aus den er- bis er-Jahren eröffnet sich in vielen Kontaktanzeigen der Wunsch nach einer «bleibenden und wahren Freundschaft» oder die Suche nach einem «charaktervollen Freund». Expliziter beschreibt dieses Ideal der Strippenzieher hinter dem Kreis, Schauspieler Karl Meier, genannt Rolf, in einem Vortrag, das im «Kreis» abgedruckt wurde, und von der «Ethik der Freundesliebe» handelte.

Dort erklärte er: «Man kann eben hundert Abenteuer erleben, ohne innerlich berührt zu werden, und beim hunderteinten wird alles andere bedeutungslos. Wird von diesem Punkt aus gesehen die Ehe und die Dauerfreundschaft nicht eben doch sinnvoll und notwendig als sittliche Forderung?

Doch herrschte im «Kreis» und somit in der Zeit vor den er-Jahren tatsächlich nur das Ideal einer monogamen Zweierbeziehung vor? Ein überliefertes Zeitzeugengespräch von mit verschiedenen Männern aus dem Umfeld des «Kreis» eröffnet uns ein anderes Bild. Sie diskutieren über Monogamie und Polygamie und einer mit Jahrgang findet: «Wie bei Heterosexuellen gibt es doch einfach monogame Typen und polygame Typen.

Gay liebe und treue: die grundlagen einer erfüllten beziehung

So taucht die Debatte um Polygamie und Monogamie, um offene oder geschlossene Beziehungen also stets immer wieder in neuem Gewand auf. Es ist niemals dieselbe Debatte, jede ist für sich spezifisch — und doch scheint sie uns und unsere Community zu begleiten. Doch viel spannender als die Frage, was denn nun die richtige schwule Lebensweise sei, ob es mit dieser oder jener Lebensform nun bergab gehe, ist womöglich die Erkenntnis, dass die schwule Community vielleicht eine gewisse Freiheit geniesst im Er finden der eigenen Beziehungsform.

Denn: Während Heterosexuellen lange nur die Ehe als Beziehungsideal offenstand, waren Schwule oftmals freier darin, ihr Beziehungsideal für sich selbst zu definieren. Wer bereits aus der sexuellen Norm fällt, kann gerade so gut auch die Beziehung neugestalten.